...Und dann diese Fragen nach der Herkunft!

Wie geht es euch Adoptierten (oder auch euch, die ihr in einem anderen Land geboren seid und nun in der Schweiz lebt) damit, quasi zwei Nationalitäten zu haben, in gewissem Sinne in zwei Ländern verwurzelt zu sein? Tut ihr euch schwer damit? Oder wollt ihr einfach zu einem Land dazugehören? Fühlt ihr euch gar dem einen Land zugehörig und lehnt das andere ab?

Ich persönlich wollte ganz lange einfach Schweizerin sein.
Punkt.
Das ging so weit dass ich meiner neuen Gastfamilie in England, bevor ich für drei Monate bei ihnen wohnte, vorsorglich in einer e-mail den kuriosen Satz schrieb: "So apart from my appearance I'm not indian at all."



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Gopf!!!!!
Wie wenn ich mich insgeheim dafür geschämt hätte, indisch zu sein.

Wir wollen ja alle irgendwie irgendwo dazugehören. Das ist ein menschliches Grundbedürfnis, denn der Mensch ist ein soziales Wesen und kann nicht ohne die anderen. Durch die anderen fühlt er sich geliebt, bestätigt, gesehen und angenommen, aber um geliebt und angenommen zu werden, muss man bestimmte Merkmale haben, die die anderen als "ähnlich" erkennen. Denn vielen Menschen macht ja das "Fremde" eher Angst, und Ausgrenzung ist somit vorprogrammiert.

Dazugehören.
Trotz dunkler Haut.

Ich hatte das Glück, nie ernsthaft gemobbt worden zu sein wegen der Hautfarbe, in meiner Kindheit und Jugend. Meine Hautfarbe stellte kein Problem dar, obwohl meine Schwester und ich wirklich vollkommene Exoten waren in unserem kleinen Dorf, in den 80-er Jahren! Es gab NIEMANDEN, der dunkelhäutig war. Ausser zwei weiteren adoptierten Mädchen im Nachbardorf. Aber sonst - absolut niemanden.

Aber natürlich gab es sie - die grösseren und kleineren Verletzungen, das musste nur ein Blick sein, ein kleines Mikro-Abwenden, Ausweichen auf der Strasse, gepaart mit einem bestimmten Blick, im Lift, im Laden, 
oder die Kassiererin, die mir das Rückgeld nicht in die Hand geben wollte sondern einfach auf die Fläche zwischen ihr und mir knallte.



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Und auch in Indien bin ich keine Einheimische. Gehöre ich nicht dazu. Die Einheimischen kapieren nach zwei Sekunden, dass wir zwar wie Inderinnen aussehen, meine Schwester und ich, aber keine "richtigen" Inderinnen sind. Wir bewegen uns anders. Wir sprechen die Sprache nicht, was sie nach zwei Sekunden herausfinden, um dann in den interessiert-distanzierten Modus des "was macht ihr in unserem Land" zu wechseln. Manche sind auch einfach total verwirrt. Dazu sind wir dann noch "armselig" gekleidet. Ohne Witz. Reiche Inderinnen sind goldbehängt. Tragen goldbestickte Saris und Nasenringe. Zumindest in gewissen Schichten. Zumindest in gewissen Altersklassen. Bei der jungen Generation sieht das wieder anders aus. Wir in unseren einfachen Punjabis allerdings...
Die mehr oder weniger bittere Erkenntnis: wir sind sogar in unserem Herkunftsland Exoten. 










Und dann. 
Natürlich.
Die Fragen.
In der Schweiz wie in Indien. 
Diese ewig gleichen Fragen nach der Herkunft, die in mir drin stets ein wahlweise mulmiges/ungutes/genervtes Gefühl erzeugen, dieses "kennst du denn jemanden von deiner leiblichen Familie in Indien?" und die mitleidigen Blicke, wenn ich verneine.
Irgendwann gehen sie einem einfach nur noch auf die Nerven, nach dem 199ten Mal möchte man es nicht mehr hören, diese voyeuristisch-schadenfreudig-mitleidigen Fragen.

Aber sind sie das wirklich?

Ich möchte damit wirklich niemandem eine böse Absicht unterstellen! Echt nicht. Ich bin sogar überzeugt davon, dass ganz viele Menschen diese Fragen aus ehrlichem, echtem Interesse heraus stellen.

Es ist nur die schiere Masse. Wir Adoptierte müssen ständig diese Geschichte erzählen, immer wieder von Neuem, müssen diese unsere dunkle Haut erklären und vielleicht sogar rechtfertigen.
"Ich bin eben adoptiert. Ja, ich habe einen Schweizer Pass. Ich habe genau wie du das Recht hier zu sein. Nein ich bin kein Ausländer mit C-Bewilligung."

Auch so eine nette Frage: 
"Warum kannst du eigentlich mit deiner dunklen Haut so perfekt Schweizerdeutsch?"

Du meine Güte!
Diese Frage treibt mich in unguten Momenten, in denen ich nicht in meiner Mitte bin, zur Weissglut!
Was solln das?
Ich bin einfach ein Mensch. Und rede so wie ich halt rede. In was für einer Welt leben wir denn, dass man sich dafür erklären oder gar rechtfertigen muss, Schweizerdeutsch zu sprechen, in einer globalisierten Gesellschaft, in der die Durchmischung der Rassen nicht mehr ein Grundübel ist, das es zu bekämpfen gilt, sondern eine Tatsache darstellt, die nicht den Untergang der Helvetia einläutet sondern eine Bereicherung und Erweiterung des Horizonts.
Aber jetzt wird es politisch. Und politisieren möchte ich auf diesem Blog eigentlich nicht.

Auch hier begegnet er mir wieder, einmal mehr, der Spagat zwischen "lass mich einfach in Ruhe mit dieser Fragerei" und dem Anspruch, den Blick auf die gute Absicht und das ehrliche Interesse des Fragenden nicht zu verlieren.

Wo darf ich Stop sagen, ohne den anderen vor den Kopf zu stossen?
Wie könnten wir in einen echten Dialog treten, in dem sowohl mein Bedürfnis nach "nicht-immer-erklären-müssen" und sein Bedürfnis nach "es nimmt mich einfach ehrlich wunder wer du bist" unter einen Hut gebracht werden können?

Ein schwieriges Unterfangen, und immer wieder eine Gratwanderung.
Wie so oft. Bedürfnisse offen ansprechen ist wahrscheinlich das Mittel der Wahl.
Auch hier merke ich wieder, wie eng meine Reaktion auf solches mit meinem Selbstbewusstsein verknüpft ist. Und wie eng wiederum das Selbstbewusstsein mit der Verarbeitung alter Verletzungen verknüpft ist. Heute kann ich viel besser hinstehen. Mich so nehmen wie ich bin. Weder ganz indisch noch ganz schweizerisch.
Denn wir sind einfach beides.
Wir haben zwei Länder und sind in beiden irgendwie verwurzelt.
Und anstatt es als Hindernis und lebenslanges Manko zu betrachten, in zwei Ländern und nirgends richtig verwurzelt zu sein, können wir versuchen, es als Chance, als Ressource und als Reichtum zu betrachten.
Nicht entweder oder.
Sondern sowohl als auch!

Halt doch irgendwo Weltenüberbrücker. Oder auch Weltenbürger.
Bindeglieder. Anführer in eine neue Welt der Offenheit und Toleranz.
Ich möchte uns eine Stimme geben. Ich möchte, dass wir aufhören damit, unser Elend und unseren Mangel zu besingen und wahlweise auch zu beweinen.
Akzeptieren wir die zwei Wahrheiten in unserem Leben (siehe post "Die zwei Wahrheiten im Leben von Adoptierten") und beginnen wir sie als unseren grössten Reichtum zu betrachten.
Wir haben anderen Menschen etwas voraus.
Das Glas ist halb voll, nicht halb leer!


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Alle Fotos by SelinaDacy, Goa und Neu Delhi

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