Der kaputte Daumen und der "Zufall"

Gibt es Zufälle oder nicht?

Was sind Zufälle? "Fällt mir etwas zu", weil es in meinem Leben sein soll?

Oder ist etwas "zufällig" in meinem Leben, ohne dass es einen grossen Sinn machen würde?

Im Laufe meines Verarbeitungsprozesses bin ich für mich zur Überzeugung gelangt, dass nichts in meinem Leben ein Zufall ist im Sinne dessen, dass es ohne Sinn geschieht. Was nicht heisst dass ich nun krampfhaft in allem, was geschieht, ein "bedeutendes Ereignis" sehe oder stets versuche herauszufinden, was "das und das mir jetzt sagen will." 

Und doch sind in letzter Zeit einige auffällige Dinge passiert, Zufälle? die mich sehr zum Nachdenken angeregt haben.

Wer meinen Post "Das Wahnsinnsjahr 2020" gelesen hat, weiss, dass Vieles, was ich vor 5 Jahren noch für undenkbar hielt und völlig ausserhalb meines Horizonts sah, Realität geworden ist. Schritt für Schritt baute ich mein Leben in die Richtung auf, in die ich es haben wollte. Alles schien zu gelingen.

Dann folgte die nächste Runde der "Verarbeitung". Und Dinge, die noch vor einem Monat ein sicherer Wert gewesen waren, gerieten noch einmal heftig ins Wanken. Einige stockten plötzlich. Bei anderen spürte ich überdeutlich, dass jetzt gerade die Psyche an der Reihe war, und der Businessaufbau pausieren musste.

Trotzdem erfreute ich mich an meiner gut laufenden Änderungsschneiderei und nahm glücklich jeden Auftrag an. Ich erfreute mich an meinem Kinderbuch, das beim Verlag ist, ich genoss die neue Balance in meinem Alltag, und meine quirligen Kinder. 

Bis - ja, bis meine Nähmaschine den Geist aufgab. Ich war gerade überhäuft mit Aufträgen und geriet in leichte Panik. Jedoch war dies für mich keineswegs ein Grund gleich aufzugeben; ich borgte mir eine Nähmaschine und arbeitete weiter. 

Erahnt ihr, was passierte?

Nicht viel später ging auch diese Nähmaschine kaputt. Da sie nicht mir gehörte, brachte ich sie sofort in Reparatur, wo es dann hiess, es würde 1-2 Wochen dauern mit der Reparatur.

Und das, wovor ich mich am meisten gefürchtet hatte, trat ein - ich musste meine Schneiderei vorübergehend schliessen.

Der unterschwellige Stress der damaligen Situation hatte schon kurz davor durch ein gesundheitliches Problem ihren Tribut gezollt - nun schien ich endgültig urlaubsreif zu sein. Wir verbrachten den Urlaub, wie im letzten Jahr, wieder in Tschlin, wo dann das letzte im wahrsten Sinne des Wortes "einschneidende Erlebnis" geschah - ich schnitt mich (mit einem Hackmesser) tief in den linken Daumen. Und wie Selina so ist - schnell ein Pflaster drüber und weitermachen. Und eins meiner tiefsten Muster, eine meiner grössten Challenges, "gut für mich selbst zu sorgen", trat auf den Plan. 




Ich war in dieser Zeit sehr im Aussen, es war wirblig, anstrengend, teilweise auch wunderbar erholsam und atemberaubend schön ...und dieser Daumen geriet mitunter ob all dieser Erlebnisse fast in Vergessenheit. Jeden Morgen das gleiche Spiel - schnell neu verbinden und weitermachen.




Zu Beginn schien es dann auch, als wolle es heilen. Es sah zwar alles andere als schön aus - aber zumindest war die Wunde nicht mehr offen.

Familiäres verflocht sich mit Kinderorganisation, Alltagsorganisation zwischen zwei Familien, ein immerwährender Tanz zwischen eigenen Bedürfnissen, Fremdenergien, Abgrenzung, geniessen und sich-aufeinander-einlassen. Diffuse Gefühle von Überforderung.

Der Daumen begann zu eitern.

Selina dachte sich nichts dabei, "ist ja nur ein Schnitt", Zugsalbe drauf und weitermachen.

Doch es wollte und wollte nicht besser werden, sondern wurde nur immer noch schlimmer, bis - ja, bis ich mal wieder kapitulierte und endlich kapierte dass jetzt was getan werden musste. Eine kleine OP war dann nötig, zwei Anästhesien, eine Tetanusspritze und die Information dass "es von allein niemals abgeheilt wäre"...

Allein jetzt beim Schreiben merke ich, wie dieser Daumen sich die ganze Zeit "Gehör hatte verschaffen wollen" um mich auf etwas hinzuweisen was ich einfach nicht sah, womit ich mich entsetzlich schwer tat und teilweise noch immer tue...doch ich hörte nicht.

Da musste er dann zwei Mal total vereitern, aufgeschnitten und am Schluss noch mit Antibiotika gerettet werden. Und das war dann wirklich die Rettung, obwohl ich Antibiotika nicht mag und nur im äussersten Notfall möchte.

Nun, manchmal gibt es solche Notfälle.

Und dann endlich gab ich Ruhe. Mir selbst. Meinem Körper, und meiner Psyche, die in den vergangenen Wochen und Monaten noch einmal durch so tiefe Täler, Stromschnellen, Strudel und über Wasserfälle hinab getrieben worden waren. Zwangsläufig, denn ohne Daumen (bzw. Pinzettengriff) gerät ganz Vieles, was sonst eine Selbstverständlichkeit ist, ganz plötzlich zu einem Spiessrutenlauf. Die Infektion am Daumen strahlte äusserst schmerzhaft in den ganzen Körper aus und legte mich einfach lahm. Auf allen Ebenen. 

Und das, was ich die vergangenen zwei Jahre trainiert hatte, kam mir zugute - ich ging einfach ins Fühlen. Ins Wahrnehmen. Ich fühlte mich wie ein rohes Ei ohne Schale und das - wenn ich noch genauer hineinfühlte - schon seit Wochen. Wochen der Blockadenlösung ohne Ende, die mich immens vorangebracht hatten aber die sämtliche meiner Schutzmechanismen vorübergehend ausgehebelt zu haben schienen. Ich konnte mich nicht vor Fremdenergien abschirmen, spürte mich selbst nicht bzw die Grenze zwischen mir und den anderen, nahm alles persönlich, war nicht fähig, meine Bedürfnisse auszudrücken, geschweige denn, dafür einzustehen. Und dazwischen, immer wieder - nicht in die Selbstverurteilung abdriften. "Hättest du doch..."; "warum hast du denn nicht..."

Ich bin ein Mensch, der sehr schnell in die Selbstverurteilung gerät. Es ist ein wundervoller Lernprozess, immer liebevoller mit sich selbst umzugehen, immer milder zu sein und einfach wahrzunehmen, ohne zu (ver)urteilen. Eine heilsame Erfahrung, dies alles durch den Daumen, der nicht heilen wollte, ins Bewusstsein zu holen. Dadurch änderte ich meine Sichtweise auf diese oberflächlich betrachtet ärgerliche Verletzung. Ich begann mich darum zu kümmern, dankte meinem Körper, dass er so sehr versuchte, sich zu heilen, unterstützte ihn, tat mir Gutes und verordnete mir einfach Ruhe. 

Ich könnte jetzt auch ins Sinnieren kommen darüber, was "das Universum" mir mit einem kaputten Daumen plus zwei kaputten Nähmaschinen "sagen" will punkto Business. Eine Weile tat ich das auch. Mir bleibt die Wahl ob ich diese Ereignisse als "blöde Zufälle" ansehen will und einfach weitermache "wie wenn nichts wäre", oder ob ich ihnen eine besondere Bedeutung beimesse. Denn es ist das Eine, nichts im Leben als "Zufall" zu betrachten, und das Andere, sich dann auch davon leiten zu lassen. Je feiner ich meine Intuition wahrnehme, desto bereiter bin ich, mich von diesen Begebenheiten führen zu lassen. Im tiefen Vertrauen, dass mich die richtigen Impulse zur richtigen Zeit die Dinge tun lassen, die notwendig sind. Im Moment erlaube ich mir einfach einmal, mein Geschäft pausieren zu lassen, nicht wissend, wohin mich das führen wird.

Ja, die Macherin in mir läuft fast Amok dabei.

Das "Aushalten" des Nicht-Wissens wie es weitergehen könnte ist ein neues, ungewohntes Gefühl für mich, dem ich mich nun stelle. Ich bin gespannt was sich zeigt. Denn meine bisherige Erfahrung zeigt, dass mein Leben sich immer echter, immer wahrhaftiger und authentischer anfühlt, je mehr ich bereit bin, auf diese Zeichen zu achten, die eine Veränderung einläuten wollen.


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